Inge-Marga Pietrzak: Kinder mit Pferden stark machen. Heilpädagogisches Reiten und Voltigieren. cadmos Pferdebücher, Lüneburg 2001.
 
 

a) Quantitatives: Fotos, Preis-Leistung, Seitenzahl, Größe

Das Buch hat 128 Seiten, teilweise sehr schöne Farbfotos und ist ca. 19x27 cm, also etwa DIN A4 minus je zwei Zentimeter. Es kostet 39,80DM. Es ist ein Hardcover-Buch (wie ein fest gebundenes Buch, allerdings nicht mit Schutzumschlag, sondern mit glänzendem Einband). Auf dem Cover ist ein Grundschulkind abgebildet, das im Galopp longiert wird und im Bewegungsrausch strahlt.
 
 

b) Schwerpunkte inhaltlich (z.B. Adressaten-Klienten, therapeutische Ausrichtung, Adressaten des Buches)

Adressaten dieses Buches sind in erster Linie wohl Eltern und andere interessierte Laien, aber auch Zweifler, die wissen wollen, was überhaupt dran ist an dem Einsatz von Pferden für therapeutische Zwecke, die verstehen wollen, wie man sich das Vorgehen und die Wirkung überhaupt vorstellen soll. Regelrechte Skeptiker sollten es allerdings besser nicht sein, das Buch setzt voraus, daß sich der Leser wenigstens ein Stück weit darauf einläßt.

Der Schwerpunkt des Buches sind Kinder im Vorschul- und Grundschulalter mit Auffälligkeiten im Verhalten, mit Bewegungs- und Wahrnehmungsstörungen.

Die therapeutische Ausrichtung ist der Lektüre des Buches nicht einfach zu entnehmen. Vermutlich macht die Autorin bei verschiedenen Konzepten Anleihen. Neben psychomotorischen Methoden kommen auch theaterpädagogische oder narrative Vorgehensweisen zum Einsatz.
 
 

c) Stil, Besonderheiten

Das Buch ist sehr einfühlsam und lebendig geschrieben. Die teilweise aussagekräftigen und schönen Bilder unterstützen den Leser dabei, sich ein Bild zu machen von den Problemen heutiger Kinder und möglichen Lösungen durch die heilpädagogische Arbeit mit dem Pferd.

Das Buch ist sehr aufwendig gestaltet: Alle Seiten sind fliederfarben im Farbverlauf, Zitate sind bunt gedruckt, dazu die Farbfotos ... Insgesamt ein Buch, das schön sein soll, damit Leser sich beim Lesen wohl fühlen und mit einer positiven Grundstimmung die Fragestellung ‚an sich herankommen lassen‘, denke ich.
 
 

d) Inhaltsverzeichnis

Vorwort
Pferdenärrisch
Von der Narretei zur Berufung ... 8

Einleitung
Ross und Reiter
Ein Stück gemeinsame Entwicklungsgeschichte ... 12

Kapitel I
Mit Pferden helfen
Von der heilsamen Notwendigkeit des Tierkontaktes ... 17
Die Pferdekraft ... 21
Die drei Standbeine des therapeutischen Reitens ... 27
Hippotherapie - mehr als Krankengymnastik auf dem Pferderücken ... 28
Heilpädagogisches Reiten und Voltigieren ... 30
HPV/R - eine ganzheitliche Fördermethode ... 34
Reiten als Sport für Behinderte ... 36

Kapitel II
Im Dickicht der Kindheit
Klettermaxe ... das war einmal - Kinder auf Trab bringen ... 37
Multimediakindheit: Die Welt zieht vorüber - Pferde als Realitätsprinzip ... 48
Beziehungskrisen: Scheiden tut auch Kindern weh
Vertrauen und Beziehungsfähigkeit im Pferdekontakt zurückgewinnen ... 59
Die mobile Gesellschaft
Unterwegs ohne anzukommen -
entwurzelte Kinder kommen bei Pferden gut an ... 67
Die weiße Stute - Symbol des Lebens
Pferde als Überlebenshilfe ... 79

Kapitel III
Mit sich und der Welt im Gleichgewicht
Die zentrale Rolle des Gleichgewichtssinns ... 83
Auf dem Pferd sitzen, die große Gleichgewichtsübung ... 92

Kapitel IV
Erfahrung Pferd
Wie Körper, Seele und Geist auf dem Pferd zusammenarbeiten ... 99
Koordinationsübungen als Mentaltraining ... 100
Taktgefühl im Schritt, Trab und Galopp entwickeln ... 102
Rhythmus und Balance auf dem Pferderücken ... 104
Spiegelbild Pferd. Verhaltensänderung im Pferdekontakt ... 105

Kapitel V
Die tragende Kraft der Pferde
Kinder in existenziellen Krisen ... 107
Entwicklungsverzögerung - ein Kinderschicksal ... 109

Kapitel VI
Die Mittragende Rolle der Eltern
... Eltern sein dagegen sehr"
Erziehungschaos ... 112
Von Schuldgefühlen und schlechtem Gewissen
Warum es Eltern schwer fallen kann,
sich Unterstützung zu suchen ... 115
Mutter-Kind-Reiten ... 118
"Mamatschi, kauf mir ein Pferdchen."
Kinderwunsch Pferd und was Eltern dazu wissen müssen ... 120

Kapitel VII
Qualitätsmerkmale und Kosten
Qualitätsmerkmale ... 124
Kosten und Kostenträger ... 126
Kontraindikationen ... 127
Literaturverzeichnis ... 128

e) Klappentext des Verlages

Pferde sind intelligent und einfühlsam

Sie brechen jedes Beziehungseis und motivieren Kinder und Jugendliche - Kinder, die durch Ängste blockiert, durch innere Unruhe getrieben, durch Wahrnehmungsstörungen irritiert oder durch fehlendes Selbstwertgefühl verunsichert sind. Das Pferd als Co-Therapeut kann ganzheitlich sowohl auf der körperlichen Ebene als auch auf der seelischen und geistigen Ebene Einfluß nehmen.

Deshalb ist das heilpädagogische Reiten und Voltigieren eine der erfolgreichsten Therapieformen für Kinder und Jugendliche.

Wie Kinder mit der Unterstützung von Pferden leider fast schon alltägliche Situationen wie

schildert die Autorin in berührenden Fallbeispielen.

Dem Leser wird unterhaltsam der umfassende gedankliche Hintergrund nahe gebracht, vor dem Reit- und Voltigierpädagogen Pferde pädagogisch und psychologisch sinnvoll einsetzen.

Die Autorin

Inge-Marga Pietrzak, Sozialpädagogin und Sozialarbeiterin, arbeitet in unterschiedlichen sozialtherapeutischen Feldern und als freie Dozentin. Sie absolvierte eine Ausbildung zur Voltigierpädagogin und betreibt heute die heilpädagogische Praxis Centaury.
 
 

f) Inhaltliche Zusammenfassung bzw. Anmerkungen zum Inhalt:

Was ist es, das Pferde so optimal macht für einen therapeutischen Einsatz? Woher stammt das Glücksgefühl, das sich einstellt, wenn Sie auf dem Pferdehals liegen, oder der Freiheitsrausch, der einem im schnellen Galopp durch den Wald den Kopf durchpustet? Warum hängen so viele junge Mädchen in Reitställen herum und lassen sich "von hochfahrenden Pferdebesitzern demütigen, von hagestolzen Reitlehrern herumkommandieren und von zahnlosen, fuseligen Stallburschen davonjagen" (S. 8f)?

Okay, für uns Pferdefreunde stellen sich solche Fragen längst nicht mehr. Wir reden uns scherzhaft damit heraus, wir seien vom Pferdevirus befallen und der sei nun mal unheilbar.

Aber besonders für die Eltern der vielen ‚Pferdemädchen‘ und auch die Skeptiker gegenüber einem heilpädagogischen oder therapeutischen Einsatz von Pferden hat schon lange ein Werk gefehlt, das Antworten auf diese Fragen versucht.

Das Buch vermag es in faszinierender Weise, den Leser nachempfinden zu lassen, was es bedeuten mag, wenn ein Mensch, dem in einer konkreten Situation alles zu schwer ist, plötzlich ein Teil der Last abgenommen wird, er sich tragen lassen darf von einem großen starken Pferd wie ein Baby von seiner Mama. Oder wie wenige Möglichkeiten Kinder in der multimedialen Gegenwart haben, sich selbst zu erfahren, die eigenen körperlichen Möglichkeiten und Grenzen, das Gefühl, die gestrige Grenze heute schon ein kleines Stück zu überschreiten.

Die Autorin beschäftigt sich mit der modernen kindlichen Lebenswelt und ihrer Verarmung in Hinsicht auf Erlebniswelten, die für die kindliche Entwicklung so wichtig sind. Inge-Marga Pietrzak beschreibt hier kindliche Bedürfnisse wie freie Bewegungsräume mitsamt Kletterbäumen, Mutproben und Abenteuern und setzt die heutige von Eltern und Fachleuten geplante, verabredete Freizeitaktivität kontrastiv dagegen.

Auf ähnliche Weise tut sie dies mit anderen Eckpfeilern der heutigen Kindheit.

Diese Beschreibungen dienen ihr als Folie, um vor diesem Hintergrund konkrete kindliche Probleme der einzelnen Fallgeschichten deutlich benennen zu können und Möglichkeiten aufzuzeigen, wie das heilpädagogische Reiten darauf eingehen kann.

Ein sehr schönes Beispiel ist die Geschichte der kleinen Sonja, die aufgeregt und überdreht berichtet, dass sie abends mit einem Freund ‚Starwars‘ sehen wird. Die ganze Kindergruppe ist unkonzentriert und berichtet von Heldenabenteuern, "so als wären sie beim ‚Krieg der Sterne‘ höchstpersönlich dabei gewesen" (S. 48). Die Autorin nutzt dieses menschliche Grundbedürfnis nach heldenhaftem Tun und lässt die Kinder (die schon so weit sind) beim Reiten über ein Cavaletti springen, zunächst aus dem Trab und danach auch aus dem Galopp. Beim abendlichen ‚Starwars‘ dann ist Sonja einfach eingeschlafen, nachdem sie ihrem Freund unentwegt von ihrem Springabenteuer erzählt hatte.

Die wichtigsten Bereiche des heilpädagogisch orientierten Reitens und Voltigierens werden so in ihrer Einbettung nachvollziehbar gemacht. Anhand allgemeiner Überlegungen, sprechender Fotos und sehr gut gewählter Fallbeispiele werden längst verdrängte Bedürfnisse des Lesers wieder spürbar und lassen ihn die Möglichkeiten des Pferdeeinsatzes erkennen.

Dass die Autorin dafür an einigen Stellen auch die Mythologie bemüht, entspricht nicht meinem Geschmack, ist aber dezent und nicht wirklich störend.

Die grundsätzliche Beschreibung der Einsatzmöglichkeiten der drei Disziplinen der Reittherapie, eine Liste, wann Reittherapie nicht durchgeführt werden sollte, eine verwendbare Checkliste zur Qualitätsüberprüfung und die Nennung und Begründung der durchschnittlichen Kosten machen dieses Buch zudem zu einem guten Ratgeber, der durch die einfache und bildliche Sprache und seine Aufmachung sicher vielen Eltern gefallen wird.
 
 

Diese Rezension wurde zunächst geschrieben für die Fachzeitschrift Freizeit im Sattel, Ausgabe Oktober 2001.


URL: www.wilde-pferde.de/pietrzak.html; Stand: 18.09.2001;
Verantwortlich: Katinka Lutze & Thomas Klein: gata-Verlag --
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