"Ich
kann nicht mit dir spielen",
sagte der Fuchs.
"Ich bin noch nicht gezähmt!"
"Ah, Verzeihung!" sagte
der kleine Prinz.
Aber nach einiger Überlegung
fügte er hinzu:
"Was bedeutet das: 'zähmen'?"
[...]
"Das ist eine in Vergessenheit
geratene Sache", sagte der Fuchs. "Es
bedeutet: sich 'vertraut machen'."
"Vertraut machen?"
"Gewiß",
sagte der Fuchs. "Du bist für mich nichts
als ein kleiner Knabe, der hunderttausend kleinen Knaben völlig gleicht.
Ich brauche dich nicht, und du brauchst mich ebenso wenig. Ich bin für
dich nur ein Fuchs, der hunderttausend Füchsen gleicht. Aber wenn
du mich zähmst, werden wir einander brauchen. Du wirst für mich
einzig sein in der Welt. Ich werde für dich einzig sein in der Welt
..."
[...]
"Mein Leben ist eintönig.
Ich jage Hühner, die Menschen jagen mich. Alle Hühner gleichen
einander, und alle Menschen gleichen einander. Ich langweile mich also
ein wenig. Aber wenn du mich zähmst, wird mein Leben wie durchsonnt
sein. Ich werde den Klang deines Schrittes kennen, der sich von allen andern
unterscheidet. Die anderen Schritte jagen mich unter die Erde. Der deine
wird mich wie Musik aus dem Bau locken. Und dann schau! Du siehst da drüben
die Weizenfelder? Ich esse kein Brot. Für mich ist der Weizen zwecklos.
Die Weizenfelder erinnern mich an nichts. Und das ist traurig. Aber du
hast weizenblondes Haar. Oh, es wird wunderbar sein, wenn du mich einmal
gezähmt hast! Das Gold der Weizenfelder wird mich an dich erinnern.
Und ich werde das Rauschen des Windes im Getreide liebgewinnen ..."
Der Fuchs vertummte und schaute
den Prinzen lange an:
"Bitte ... zähme mich!" sagte
er.
"Ich möchte wohl",
antwortete der kleine Prinz, "aber ich habe
nicht viel Zeit. Ich muß Freunde finden und viele Dinge kennenlernen."
"Man kennt nur die Dinge, die man
zähmt", sagte der Fuchs. "Die
Menschen haben keine Zeit mehr, irgend etwas kennenzulernen. Sie kaufen
sich alles fertig in den Geschäften. Aber da es keine Kaufläden
für Freunde gibt, haben die Leute keine Freunde mehr. Wenn du einen
Freund willst, so zähme mich!"
"Was muß ich da tun?" sagte
der kleine Prinz.
"Du mußt sehr geduldig sein",
antwortete der Fuchs. "Du setzt dich zuerst
ein wenig abseits von mir ins Gras. Ich werde dich so verstohlen, so aus
dem Augenwinkel anschauen, und du wirst nichts sagen. Die Sprache ist die
Quelle der Mißverständnisse. Aber jeden Tag wirst du dich ein
bißchen näher setzen können ..."
[...]
So machte denn der kleine Prinz
den Fuchs mit sich vertraut. Und als die Stunde des Abschieds nahe war:
"Ach!" sagte
der Fuchs, "ich werde weinen."
"Das ist deine Schuld",
sagte der kleine Prinz, "ich wünschte
dir nichts Übles, aber du hast gewollt, daß ich dich zähme
..."
"Gewiß",
sagte der Fuchs.
"Aber nun wirst du weinen!" sagte
der kleine Prinz.
"Bestimmt",
sagte der Fuchs.
"So hast du also nichts gewonnen!"
"Ich habe",
sagte der Fuchs, "die Farbe des Weizens gewonnen."
[...]
"Adieu",
sagte er ...
"Adieu",
sagte der Fuchs. "Hier mein Geheimnis. Es
ist ganz einfach. Es ist ganz einfach: man sieht nur mit dem Herzen gut.
Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar."
[...]
"Die Zeit, die du für deine
Rose verloren hast, sie macht deine Rose so wichtig."
[...]
"Die Menschen haben diese Wahrheit
vergessen", sagte der Fuchs.
"Aber du darfst sie nicht vergessen. Du bist zeitlebens für das verantwortlich,
was du dir vertraut gemacht hast. Du bist für deine Rose verantwortlich
..."
Antoine
de Saint Exupéry
URL: www.wilde-pferde.de/seite2.html; Stand: 21.01.2000;
Verantwortlich: Katinka Lutze & Thomas Klein: gata
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